Geheimrezept für ein paar nette Tage
usabuch.com: Wie kommt man auf die Idee, einen ganzen Kontinent mit dem Fahrrad durchqueren zu wollen?
Stefan: Das war wohl eine Mischung aus Fernweh, sportlichem
Ehrgeiz und Größenwahn. Aber es ist zumindest leichter, mit dem Fahrrad
einen Kontinent zu durchqueren, als 6700 Kilometer im Kreis zu fahren.
Tobi: Wir wollten eigentlich nur eine nette Reise im Sommer machen. Amerika, weil die Flugtickets grad so billig waren. Mit dem Rad, weil alles andere uns irgendwie zu "billig" erschien (mit dem Greyhound kann man nicht da stehen bleiben, wo es einem gefällt, und per Mietauto macht das wohl heute schon jeder, oder?). Und warums der ganze Kontinent geworden ist? Naja. Boston ist eine nette Stadt und San Francisco noch viel netter. Außerdem hat uns jemand geflüstert, dass man dort sehr günstig Sushi essen kann...
usabuch.com: Essen und Trinken waren euch ja bei dieser Tour überhaupt sehr wichtig...
Tobi: Herrlich! Wann sonst kann man ungehemmt Fressen und Saufen, soviel man will, weil der Körper bei dem täglichen Energiebedarf sowieso alles in kürzester Zeit in Raketen-Treibstoff umwandelt.
usabuch.com: Da wir schon beim Thema Essen sind: Wolltet ihr euch mit dem Titel Biker's Barbecue in die Kochbuchabteilung schmuggeln?
Stefan: Ja, das wäre schon ganz passend gewesen. Biker's Barbecue handelt
ja nicht bloß vom Radfahren, sondern ist irgendwo auch ein Rezeptbuch. Sieht
man von Fressen und Saufen einmal ab, kann man da drin wohl auch das eine
oder andere Geheimrezept finden, wie man gut lebt und sich aus wenigen
Zutaten ein paar nette Tage zaubert. Außerdem enthält das Buch ja so
umwerfende Anleitungen, wie man in seiner Fahrrad-Trinkflasche Orange-Fizz
macht, oder was man mit einer Pfanne und Eiern alles anstellen kann.
usabuch.com: Und vor allem wie man überall in Amerika kostenlos übernachten kann...
Tobi: Zu unserer Übernachtungslösung (Boston - San Francisco ohne Zelt um
null Schilling) gehört ziemlich viel charmante Frechheit. Oder wenn man es
etwas netter ausdrücken will: Irgendwie haben wir entlang unserer Route
immer kurz vor Einbruch der Dunkelheit wahnsinnig nette, hoch sympathische
Menschen getroffen, mit denen wir uns so gut verstanden haben, dass sie sich
über Nacht einfach nicht von uns trennen wollten.
usabuch.com: Die Übernachtung im Yellowstone Park muss euch doch eine besonders liebe Erinnerung sein?
Stefan: Ja, das stimmt. :-) Im Yellowstone Park haben wir die einprägsame
Erfahrung gemacht, daß sich Tourismus und Gastfreundschaft nur sehr schlecht
vertragen. Wir brauchten aber unbedingt ein Dach über dem Kopf, weil ich mir
zuvor bei einem Sturz das Knie aufgeschürft hatte und nicht unbedingt meinen
Schlafsack vollbluten wollte. Nachdem das dem Parkmanagement ziemlich egal
war, haben wir uns schließlich selbst geholfen und eine ihrer Toilettenanlagen
als Schlafraum beschlagnahmt, indem wir ein "Außer Betrieb"-Schild an die
Tür geklebt haben.
usabuch.com: Sollte man also die Stätten des Massentourimus meiden, wenn man Amerika von der netten Seite her kennen lernen möchte?
Tobi: Das ist eigentlich die oberste Regel, um jedes Land kennen zu lernen.
In Amerika gilt das allerdings ganz besonders, weil die Amis ihre
Tourismusregionen immer noch mit diesem künstlichen "Hollywood-Zuckerguss"
überziehen. Dazu kommt ein geradezu militanter Ordnungsfimmel. Aber als
Kontrastprogramm zur "real world" ist das auf einer langen Reise vielleicht
auch mal ganz lustig. Selbst wenn man dann ganz froh ist, wieder weiter zu fahren.
usabuch.com: Was war das schönste Erlebnis auf eurer Fahrt?
Stefan: Mein schönstes Ferienerlebnis? Hm - eine knifflige Frage! Die
Ankunft in San Francisco war das jedenfalls nicht. Mein Beinah-Unfall mit
dem Bison in South Dakota auch nicht. Wahrscheinlich eher irgendwas
unscheinbares in der Mitte unserer Tour, so zwischen Kartoffelplantagen und
Prairie, kurz nach der 11 Uhr-Jause. Ein Lächeln, eine Bemerkung, ein
Händedruck. Vielleicht auch eine Landschaft. Wie hat Tobi so schön
geschrieben? - "Was man auf so einer Reise findet, ist ein stiller Schatz,
der einen ein Leben lang in jener Truhe mit den wertvollsten Erinnerungen
des Lebens begleitet." - Besser könnt' ich's eigentlich auch nicht sagen!
Tobi: Keine leicht zu beantwortende Frage, bei einer derart ereignisreichen
Reise. Aber eine unvergesslich schöne Erinnerung habe ich an eine dieser
schnurgeraden Landstraßen durch Indianerland im Herzen South Dakotas. Die
menschenleere Route führte durch endlose wilde Weizenfelder, Bisonherden
grasten am Horizont unter einem heißen, tief dunkelblauen Himmel. Und unsere
Straße lag mitten drin in diesem atmenden Gemälde, wie eine Nabelschnur zu
Mutter Natur. Wir blieben damals auf einer kleinen Anhöhe stehen, um diesen
Anblick zu genießen. Als dann noch der Wind auf West drehte und in unserer
Fahrtrichtung links und rechts des Weges für eine wogende, goldfarbene
Brandung sorgte, fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben so richtig
frei. Ich krieg heute noch eine Gänsehaut, wenn ich an diesen Moment zurück
denke.
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